Theater Bohème

Brutales Rollenspiel am Frisiertisch / Aachener Nachrichten vom 04.05.2010

Genets Tragödie “Die Zofen” im Theater 99. Sperriger Stoff greifbar gemacht.

VON ANKE HINRICHS

Aachen. Als Jean Genets (1910‑1986) Tragödie “Die Zofen” in Paris 1947 uraufgeführt wurde, war der Skandal perfekt: Nicht nur, dass da ein Autor mit krimineller Vergangenheit in die, heiligen Hallen des Pariser Théâtre de l’Athénée kam. Auch stieß das Stück selber wegen seiner Verherrlichung von Gewalt und Brutalität gewaltig auf. jetzt sind “Die Zofen” im Theater 99 angekommen und feierten ihre Premiere mit dem Ensemble des “Theater Boheme”.
Drei Frauen ‑ ein Frisiertisch ‑ die Farbe Schwarz. Regisseur Andre Schülke hält sich im Bühnenbild (Imke Voigt) streng an die Regie‑Anweisungen und bringt damit ein Stück, das trotz moderner sprachlicher Anklänge seine Herkunft aus dem Existentialismus nicht verleugnen kann und will. Die Handlung ist eine grausige: Da leben drei Frauen zusammen: die Zofen, das Geschwisterpaar Claire (Jutta Steinbusch). und Solange (Marion König) und die gnädige Frau mit dem wunderbaren Namen Pieta (Zarah Beigi).
Doch wunderbar sind die Zustände im Hause ganz und gar nicht: Die drei Frauen leben eine Melange aus Liebe und Hass, aus Unterwürfigkeit und Brutalität. Kaum ist die Herrin, die in Schülkes Inszenierung nicht mehr als “gnädige Frau”, sondern als junges Top‑Model daher kommt, aus dem Haus, erobern Claire und Solange die Hoheit am Frisiertisch und geben genüsslich ein Rollenspiel, das es in sich hat. Überdies haben es die zwei Schwestern zu Wege gebracht, den Herrn des Hauses durch anonyme und falsche Anschuldigungen ins Gefängnis abzuschieben, und bedienen sich seiner nun ungehindert in ihren sexuellen Fantasien und ritualisierten Rollenspielen.

Leben folgt eigenen Regeln

Ihre Herrin soll nun auch noch aus dem Wege geschafft werden, doch für die Schwestern endet das begonnene Ritual am Frisiertisch nicht als Triumph, sondern als bittere Tragödie.’Claire und Solange scheitern am Leben, das sich keinen Plan überstülpen lässt und seinen eigenen Regeln folgt.
Schülke gelingt es, diesen sperrigen Stoff erfahr‑ und greifbar zu machen. Sprachlich begibt er sich in die Welt der Top‑Models und der Casting‑Sendungen und schafft damit ein starkes Spannungsfeld zwischen Dialog und Ausstattung. Dabei wird die bürgerliche Enge einer Gesellschaft, die Raum für abnorme Fantasien und Träume lässt, zur eigentlichen Antriebsfeder der,handelnden Personen. Das Spiel der Zofe’n macht die beiden Schwestern zu “Ungeheuern ‑ wie uns selber, wenn wir dieses oder jenes träumen”, so kommentierte Geriet kurz nach der Uraufführung in Paris.
Die Tragödie setzt wegen der starken Präsenz der Figuren auf starke Darstellerinnen. Das gelingt über weite Strecken, Jutta Steinbusch überzeugt als Claire und im Rollenspiel als Madame, changiert zwischen Diabolik und Unterwürfigkeit. Marion König gelingt die perfekte Metamorphose, sie gibt das laszive Sexgirl und im nächsten Augenblick die schmallippige Gouvernante. Zarah Beigi spaziert als Pieta in herrlich parodierender Oberflächlichkeit über die Bühne, behält aber dennoch ihre Funktion als Dompteurin in der häuslichen Arena. Andre Schülke bringt mit” Die Zofen ” eine sehenswerte Inszenierung auf die Bühne.

Weitere Termine und Tickets für das Stück

„Die Zofen” werden im Theater 99, Gasborn 9‑11, am 1., 21., 22., 28. und 29. Mai jeweils um 20 Uhr gespielt. Zu den Vorstellungen sind “Bilder zum Stück” der belgischen Künstlerin Tanja Mosblech im Foyer zu sehen.
Karten zu zehn Euro (ermäßigt acht Euro) gibt es beim Ticket‑Service der Mayerschen Buchhandlung oder unter ☏ 27458.

(Artikel als PDF)

Die mobile Version verlassen